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  • AutorenbildJ.-G. Heurteloup

Ein Theetisch um 1793

Aktualisiert: 3. Okt. 2021

Von Christian Robardey-Tanner


Das Video zu Grimod de la Reynières Ausführungen zur Kaffeekultur um 1805 mit Les Soirées Amusantes (LSA) war einerseits dem Umstand zu verdanken, dass Jean-Gatien Heurteloup eine cafetière à la Belloy gefunden hatte, für die ein Basler Silberschmied den dazugehörigen Wasserverteiler nach dem Kupfer des Journal des Luxus und der Moden rekonstruieren konnte. Andererseits hatte ihn der intensive Austausch mit der Recherchenkoryphäe Sabine Schierhoff über die Geschichte dieses Kaffeekannentypus und der Kaffeekultur im Allgemeinen auf den Gedanken gebracht, den wieder vollständigen Gebrauchsgegenstand in seinem historischem Kontext zu präsentieren.


Doch kaum hatte das Video die Werkstatt von LSA verlassen, regte die Muse Sabine aus dem Sauerland Heurteloup dazu an, er möge sich nach der französischen Kaffeezeremonie nun doch der sich im Deutschland der Klassik verbreitenden Teekultur annehmen. So war es auch sie, die ihren Schweizer Freund mit diversen, dem grossen Publikum noch weitgehend unbekannten deutschen Quellen bekannt machte:


Bertuchs Journal des Luxus und der Moden vom August 1788

Bertuchs Journal des Luxus und der Moden vom Juli 1793

Le Goullons Der elegante Theetisch oder die Kunst einen glänzenden Zirkel auf eine geschmackvolle und anständige Art ohne grossen Aufwand zu bewirthen von 1829.

Sophie von La Roches Tagebuch einer Reise durch die Schweiz, von 1787

Das Journal für Fabrik, Manufaktur und Handlung. Zweyter Band. Januar bis Juni von 1792.


Nachdem Heurteloup sich in gewohnter Manier mit Bleistift und Farben seine Bahnen durch die Frakturlettern gebahnt hatte, wollte er wieder praktisch werden. Sollte ein Teevideo zustande kommen, so galt es folgende Punkte zu klären:


- Welches Gerät ist bei einer Teetischgesellschaft nötig?

- Wie hat man sich den Ablauf eines Teezirkels vorzustellen?

- Welches Jahr eignet sich am besten zur Darstellung des Teetisches?

- Welcher Ort eignet sich zur Darstellung der Teegesellschaft?


Heurteloups Imagination beflügelte vor allem Sophie von La Roches «Probestück des Berner Stadtlebens»[1]: eine den Tee zubereitende Berner Patrizierin, bei der die Autorin zu Besuch war. Sophie von La Roche schildert diese in ihrem 1787 publizierten Reisebericht:


Die Beschäftigung der Hausfrau bey dem Theetisch ist sehr artig und besonders für eine geschickte liebenswerthe Person äusserst vortheilhaft. Die vielen Tassen, verschiedenen Zuckerdosen, Flacons mit Sirop Capillaire, zweyerley Theebüchsen und Kannen, der nett eingelegte und innen mit Eisenblech versehene Kasten mit den Kohlen und Wasserkessel, so neben ihr steht, alles das hat so das Ansehen der Gebieterin und der geschäftigen Hauswirthin, die alle Personen besorgt, befragt, einschenkt, und mit Kopf, Händen und Fingern tausend angenehme Bewegungen machen kann. Denkt Ihr Euch nun dieses lebhaft, mitten in einem glänzenden Zirkel in einem offenen Säulengang, der von drey Seiten den Garten übersieht, allwo mehrere Personen bald auf= und abgehen, ihre Tasse Thee unter einem Baum trinken, ihre kleinen Brödgen in die Hand nehmen, den Blumengarten durchgehen, und so freundlich, natürlich den Nachmittag geniessen, und erst nach diesem sich an die Spieltische setzen, so habt ihr (sic) das Bild dieser Gesellschaft.[2]


Diejenigen, welche die Patrizierhäuser der Stadt Bern neben dem Münster kennen, können sich den oben geschilderten Teezirkel an der Webkante zwischen Haus und Garten mühelos vorstellen. Interessant bei La Roches Ausführungen zur Teetischpraxis um 1787 ist das detaillierte Inventar:


- Tassen

- Verschiedene (!) Zuckerdosen

- Flacons mit Sirop Capilaire

- Zwei Teebüchsen

- Zwei Kannen

- Der mit Kohlen geheizte Teekasten mit Intarsienarbeit mit Eisenblech ausgelegt

- Der Wasserkessel


Eine Rekonstruktionsarbeit rund um die Teetischpraxis im späten 18. Jahrhundert kommt selbstverständlich nicht ohne eine Konsultation von Bertuchs Journal des Luxus und der Moden aus. In seiner Augustausgabe von 1788 gibt er das komplette «Tisch= und Trink=Geschirr», sprich das «Englische Thee=Zeug».[3]


Eine besondere Beschreibung erfährt dabei die Teeurne:


Quelle: https://zs.thulb.uni-jena.de/receive/jportal_jparticle_00092971

Fig. 1 ist eine Engl. Thee=Maschine von braunen Glanz=Kupfer mit silbernen oder plattirten Verzierungen; und Fig. 6. Ist der dazugehörige Hahn, welcher der Deutlichkeit wegen besonders gezeichnet ist. Die Engländer erhalten das Wasser darinnen gewöhnlich mit einem glühenden Stahle heiss; welches aber etwas mühsam ist, und doch die gehörige Würkung nicht thut.[4]


In Abweichung zu La Roches Beschreibung des Teegeräts kommen drei weitere Elemente hinzu:


- Der Milchtopf

- Die Teemaschine

- Die gläserne Teeflasche als Variante zu von La Roches erwähnten Teebüchsen


Die von Bertuch angepriesene Teemaschine oder Teeurne wird im Journal für Fabrik, Manufaktur und Handlung von 1792 ebenfalls beworben. Allerdings insistieren die Herausgeber auf eine dritte Möglichkeit, wie das für den Tee nötige heisse Wasser zubereitet werden kann:



Unter den anderen neuen Handlungsartikeln zeichnet sich besonders eine neue, für den Gebrauch bequeme Erfindung unter den bekannten englischen Thee= Maschinen aus, welcher sich diejenigen bedienen, so nicht den Aufwand in den Vasenförmigen und reich verzierten Thee-Maschinen machen wollen. Man bedient sich statt deren einer Art von englischen Kesseln mit Spirituslampe.[5]


Damit ist das Teetischinventar jedoch noch nicht vollständig. In der Juliausgabe von 1793 empfiehlt Bertuch unter der Rubrik «Ameublement» ein zur Benutzung der neu eingeführten Teeurne praktisches Möbelstück:


Quelle: https://zs.thulb.uni-jena.de/receive/jportal_jparticle_00084625 Es finden sich noch heute solche Teaurnstands im Handel, allerdings, so wie es scheint, vor allem in England. In Frankreich scheinen sie sehr selten zu sein.

Wir setzen gemeinlich die kochenden Teemaschine mit auf den Theetisch selbst, und beschädigen dadurch nicht allein denselben, sondern rauben uns auch den nöthigen Platz für die Tassen und das Theegeschirr, welches dadurch oft heruntergestossen wird. Die Engländer hingegen haben dafür eigene sogenannte Urn-Stands, welche mit der Thee=Maschine neben den Thee=Tisch, oder sonst an einen bequemen Platz gestellt werden. Es sind kleine runde viereckte Tischgen, wie wir auf Taf. 21. No. 1. 2. ein Paar gezeichnet liefern. Sie sind zierlich von Mahagony gearbeitet, haben meist lackirte Blätter, eine niedrige Galerie, und vorn einen kleinen platten Schieber (No. 7.) der herausgezogen wird, um den Theetopf darauf zu stellen, wenn man das Wasser aus der Maschine herauslassen will; wie die Grundrisse 3 und 4 zeigen. Unter der Tischblatte (sic) ist zwischen den Füssen noch ein zierlicher leichter Boden (No. 6) auf dem gewöhnlich das schön verzierte Theekästchen (Fig. 5.) steht.[6]


Über den Teetisch selbst findet sich bei Le Goullon eine Anmerkung:


Die Teetische sind gewöhnlich von Mahagoniholz mit eingesenkten Teeplatten von lackiertem Blech mit Malerei; ebenfalls so die Präsentierteller, und diese sind in Ansehung der Sauberkeit fast den silbernen noch vorzuziehen.


Die zeitgenössische Ikonographie zeigt, dass die von Le Goullon erwähnte «eingsenkte Teeplatte» auch durch ein « Teebrett»[7] ersetzt werden kann. Die Lektüre von Le Goullons «Der elegante Theetisch» vervollständigt das noch unvollständige Teetischinventar:


Die Teelöffel sind nach dem Verschwinden des kleinen japanischen Teegerätes auch grösser und wichtiger geworden. Öfters sind solche aus Vermeil, gewöhnlich von Silber, so wie auch das Teesieb.[8]


Zudem spricht Le Goullon von «Teller[n] und Schüsseln zum Gebackenen»[9] sowie die zum Ausspülen der Teetassen dienende Spülkumpe (Spülkumme)[10].


Schaut man sich die Ikonographie rund um die Teekultur im 18. Jahrhundert an, so scheint jedoch das Inventar immer noch nicht vollständig zu sein. So fehlt etwa die auf vielen Gemälden präsente Zuckerzange.


Jean-Étienne Liotard, Nécessaire à thé, 1781-1783. Los Angeles, J. Paul Getty Museum, Quelle: http://www.getty.edu/museum/media/images/web/enlarge/00085401.jpg Auf dem Teebrett aus "lackiertem Blech" sieht man ein traditionelles "japanisches Teegeschirr" mit Boltassen, einer Spüllkumme, einer Teekanne, einem Milchtopf, einer Teebüchse, einer Zuckerschale, einem Teller und der Zuckerzange.

Die Sekundärliteratur erwähnt zudem den tea caddy spoon, der ausschliesslich dazu dient, den Tee aus dem Teekästchen in die Teekanne zu transportieren.

Ziehen wir aufgrund der Beschäftigung mit Primär- und Sekundärquellen und der Ikonographie des 18. Jahrhunderts also Bilanz bezüglich des idealen Teetischinventars, so erhalten wir folgende Liste:


- Tassen

- Zuckerdose oder Zuckerdosen

- Flacons mit Sirop Capilaire, Arrak oder Rum

- Teebüchse oder Teebüchsen, alternativ dazu Teeflaschen

- Eine oder zwei Teekannen

- Entweder ein Wasserkassel, der auf einem mit Kohlen geheizten Teekasten steht oder ein Wasserkessel, der auf einer Spirituslampe steht, oder eine Teeurne

- Ein Milchtopf

- Eine Spülkumme

- Eine Zuckerzange

- Teelöffel

- Ein tea caddy spoon

- Ein Teesieb

- Teller und Schüsseln für Gebackenes

- Ein Teebrett

- Ein Teetisch

- Ein Teaurnstand


Heurteloup fühlte sich angesichts der Menge der zu findenden Komponenten anfänglich etwas überrumpelt. Doch bald sollte er seinen grossen Geburtstag feiern und durfte damit rechnen, dass ihm sein treuer Freund Claude-Nicolas den einen oder anderen Wunsch erfüllen würde. Doch sein erstes Interesse galt den Tassen, da er selber schon zahlreiche tasses litron besitzt. Doch konnten sie ihm für das Teevideo dienen? Welche Teetassenformen herrschten im späten 18. Jahrhundert vor? Leider schweigen sich die namhaften Monographien über diese praktische Frage aus, wohingegen die Ikonographie eine ziemlich einheitliche Sprache zu sprechen scheint. Der Tee wurde offenbar in sogenannten Boltassen dargereicht, allerdings sprechen Bertuchs Worte um 1793 eine weniger eindeutige Sprache:


Ein anderes Requisit unserer Thee=Tische vom neuesten Geschmacke sind, lauter verschiedene Tassen, so dass sie zwar in der allgemeinen Gobelet= oder Becher=Form mit einander ohngefähr übereinstimmen, allein jede doch in Mahlerey und Verzierung von der anderen verschieden sein muss, so dass ein jeder Thee=Trinker seine Tasse kennt, und nie verwechseln kann.[11]


Dass idealerweise die Tassen individuell bemalt oder verziert sind, fordert auch Le Goullon, allerdings empfiehlt er keine Becherform, sondern schreibt:


Auch die Tassen dürfen sich nicht mehr in ihrer ursprünglichen Form zeigen; sie erscheinen jetzt als Opferschalen, mit den lieblichsten Gegenständen aus der Götter- und Heldengeschichten geschmückt; oder sie sind mit sinnreichen Hieroglyphen verziert, und bieten mit dem balsamischen Tee zugleich Stoff zur Unterhaltung dar.[12]


«A l’impossible nul n’est tenu», sagte sich Heurteloup bei so viel Ansprüchen bezüglich Teetassen, zumal er nicht auf dem Gold rollt, wie seine Landsleute sagen. Als er in Biel durch die Auslage eines Antiquitätenhändlers neun Tassen mit Untertassen erspähte, konnte er nicht widerstehen, trat ein und wurde mit dem Händler sofort einig. Zwar waren darauf weder Hieroglyphen noch in Jasper-Manier antike mythologische Gestalten appliziert, dafür hatte er ein Ensemble von perfekt erhaltenen Boltassen gefunden, die der Form entsprechen, welche die zeitgenössische Ikonographie belegt.[13] Doch die Zuckerdosen, Milchkrüge, Teelöffel, das Teebrett, ein Teekästchen, Spülkummen und Teller besass er glücklicherweise bereits. Auch nannte er sich stolzer Besitzer einer table bouillotte, die sehr wohl als Teetisch gute Figur macht. Doch eine Teemaschine, die besass er nicht. Schnell fand sich eine englische aus den 1790ern. Allerdings war die Versilberung stark angegriffen, der Hahn klemmte und war undicht und innen roch sie abscheulich. Also musste der Basler Silberschmied her und die gute alte Dame in einen Silberbadjungbrunnen tauchen und sie polieren, bis sie ihre einstige Jugend wiederfand.


Die vom Basler Goldschmied restaurierte englische Teeurne aus den 1790er Jahren. Foto: Fabrice Robardey

Eine englische Teekanne aus Silber fand sich später ebenfalls.


Die englische Teekanne von 1797 und Claude-Nicolas silberner Teekessel. Im Vordergrund die französische Spülkumme, die Boltassen und das englische Teekästchen aus den 1790ern. Foto: Fabrice Robardey

Zum Geburtstag schenkte ihm Claude-Nicolas eine englische Zuckerzange und den heiss ersehnten tea caddy spoon.


Der englische tea caddy spoon aus den 1790ern. Foto: Fabrice Robardey

Ausserdem entschloss sich Herr von Feule zum Ankauf eines Teekessels mit Spirituslampe und besass eine Auswahl an Flacons. Das Teevideo konnte also umgesetzt werden, auch wenn Jean-Gatien zunächst noch dem Teaurnstand und dem Kohlekasten nachtrauerte.


Die englische Zuckerzange aus der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts. Foto: Fabrice Robardey

Nun ging es an die Planung des Ablaufs der Teetischrunde: Wie sollten sich die Menschen zum Tee finden? Eine kleine Story musste her. Ideen hierfür lieferte ein teekritischer Beitrag aus der Augustausgabe des Journals des Luxus und der Moden aus dem Jahr 1788. Darin wettert ein anonymer deutscher Arzt über die schädlichen Folgen des Teetrinkens[14]. Diese Kritik sollte – so doch wenigstens pointiert gekürzt – ihren Eingang ins Teevideo finden. Denn hinter der Kritik des Arztes steckt vor allem auch eine Kulturkritik an der Anglomanie, im Zuge derer der Kaffeekonsum zugunsten des Teekonsums zurückgeht.[15] Warum also nicht genau damit einsteigen? Die Rolle des grand-papa ronchon hat sich Heurteloup schon in seiner Rede über die Tanzpraxis um 1762 angeeignet. Doch zu seinem Erstaunen wird er, der frankophile Anglomanieskeptiker, von Madame Reeves zum Tee geladen. Dabei wird er bei ihr so manche Entdeckung machen, die ihn in den Grundfesten seiner guten deutschen (?) Sitten etwas erschüttert. Damit nicht genug. Am Schluss der Teerunde wird ihn der englische Gast, Madame Smyth, zur Schnecke machen. Soweit der Plot. Doch das Hauptaugenmerk ruht auf den von Sophie von La Roche beobachteten «tausend angenehmen Bewegungen der Hauswirthin», Madame Reeves. Sie ist es, die dem Zuschauer vorführt, wie nach Le Goullon der Tee kunstgerecht zubereitet und dargeboten werden soll.


Heurteloup ist für einmal zu faul, hier alle einzelnen Schritte dieses Rituals genau wiederzugeben und verweist die geneigte Leserschaft auf die Lektüre von Le Goullons «elegantem Theetisch» oder auf das kommende Teevideo von Les Soirées Amusantes; schliesslich soll die Leserschaft auch noch ein Interesse daran haben, es sich anzusehen. Nur auf einen Punkt möchte er noch eingehen, und zwar auf den Tee selbst. Laut Le Goullon kommen für den eleganten Teetisch nur vier Sorten infrage, nämlich Haysan, Tschy, Souloung und Pecco. Doch da der Teetisch im Video nur eine kleine Anzahl Gäste versammeln würde, wurde auf eine zweite Teekanne verzichtet und die Karte ganz auf den Pecco gesetzt.


Doch welches Jahr sollte für die Darstellung des Teetischs bestimmt werden? Madame Reeves hatte ihm vor Jahren schon ein Foto eines Gemäldes vom Schweizer Maler Reinhard zugesteckt. Fasziniert betrachtete er die Hausfrau in ihrer übergrossen Haube beim Kohlekasten sitzend, im Begriff den Tee aufzubrühen. Genau so hatte er sich die von Sophie von La Roche beschriebene Berner Patrizierin vorgestellt. Doch das Familienbild stammte – entgegen der altmodischen Kleidung der Mitglieder – aus dem Jahre 1796. Und da zudem Heurteloup wusste, dass sich Alessandra leichter für die 1790er als für die 1780er erwärmen lassen würde, und das Journal des Luxus und der Moden 1793 sich erneut der Teekultur widmete, schlug er genau dieses Jahr für die Darstellung vor.


Die Berner Familie Dupan beim Tee, Josef Reinhard 1796, Historisches Museum Bern. Photo: Alessandra Reeves. Das "japanische" Teegeschirr der Dupans erweist sich als vollkommen altmodisch. Links erblickt man den von Sophie von La Roche beschriebenen "mit Eisenblech versehenen Kasten mit den Kohlen", womit der kupferne Wasserkessel erhitzt wird.

Nun musste der Drehort gefunden werden. Das kleine Museum La Folie Marco im Elsässer Städtchen Barr zeigte sich am Projekt interessiert und stellte dafür gerne seine Räumlichkeiten zur Verfügung. Tatsächlich findet sich im ersten Stock des einstigen Sommerschlösschens ein Salon aus der Zeit des Louis XV, der sich mit seinem für 1793 etwas altmodischen Mobiliar sehr wohl für eine behagliche konservative Berner Patrizierstube eignete. Doch kurz vor dem Dreh ereigneten sich nebst unerwarteten Widerständen noch grössere und kleinere Wunder. Am grösseren Wunder hatte die Weimarer Muse Sabine Schierhoff ihren Anteil, war sie doch auch jene, die das ganze Projekt aus der Taufe gehoben hatte: Sie fand für Les Soirées Amusantes genau jenen Kohlekasten, von dem Heurteloup bereits innerlich Abschied genommen hatte. Einen Tag vor Drehbeginn fand das Möbel aus Deutschland den Weg nach Frankreich und konnte somit seiner einstigen Bestimmung wieder zugeführt werden! Heurteloup schwebte in höheren Sphären und konnte sein Glück nicht fassen. Zu den kleineren Wundern zählte, dass die schöne Frau Marianne Meyer aus Aarau in eines seiner ihm sehr lieb gewordenen Chemisenkleidern passte und sie auch Gefallen an Frau Dupans Riesenhaube fand.


Frau Marianne Meyer links mit Frau Dupans Riesenhaube im Chemisenkleid, in der Mitte Madame Smyths in der konservativen Mode ihres Landes und die Hauswirthin Frau Reeves in ihrer robe à la Turque beim Teeritual. Auf Folie Marco findet sich kein Teaurnstand, dafür aber die für Frankreich typische und für die Zubereitung des Tees sehr praktische table bouillotte. Der Spieltisch in der Mitte des Salons erinnert an den altmodischen Louis XV Teetisch der Familie Dupan. Foto: Fabrice Robardey

Zu den Widerständen gehörte die knappe Auf- und Abbau- und Drehzeit von nur vier Stunden sowie die Sommergrippe, von der Mesdames Reeves und Meyer gleichermassen betroffen waren. Zudem brachte die Raumtemperatur von 30°C beim Hantieren mit heissem Wasser nicht die ersehnte Frische.


Die Hauswirthin Reeves kann sich nach vollzogener Teezubereitung endlich eine Verschnaufspause gönnen, nachdem sich der verspätete Heurteloup ihrem Teezirkel angeschlossen hat. Foto: Fabrice Robardey

Primärliteratur:

BERTUCH, Friedrich Justin : Journal des Luxus und der Moden, Weimar, August 1788.

BERTUCH, Friedrich Justin : Journal des Luxus und der Moden, Weimar, Oktober 1788.

BERTUCH, Friedrich Justin: Journal des Luxus und der Moden, Weimar, Julius 1793.

LE GOULLON, François: Der elegante Theetisch oder die Kunst einen glänzenden Zirkel auf eine geschmackvolle und anständige Art ohne grossen Aufwand zu bewirthen, Weimar, Wilhelm Hoffmann, 1829.

LA ROCHE, Sophie, Tagebuch einer Reise durch die Schweiz, Altenburg, Richtersche Buchhandlung, 1787.

Journal für Fabrik, Manufaktur und Handlung. Zweyter Band. Januar bis Juni, Leipzig, Voss und Leo, 1792.


Sekundärliteratur:

ENNÈS, Pierre et al.: Histoire de la table, Paris, Flammarion, 1994.

HERDA-MOUSSEAUX, Rose-Marie et al.: Thé, café ou chocolat? Les boissons exotiques à Paris au XVIIIe siècles, Paris, Muse Cognac-Jay, 2015.

PLINVAL DE GUILLEBON, Régine de: Faïence et porcelaine de Paris XVIIIe – XIXe siècles, Paris, éditions Faton, 1995.

[1] LA ROCHE, Sophie, Tagebuch einer Reise durch die Schweiz, Altenburg, Richtersche Buchhandlung, 1787, S. 365.

[2] Idem, S. 366

[3] BERTUCH, Friedrich Justin : Journal des Luxus und der Moden, Weimar, August 1788, S. 340.

[4] Idem, S. 341.

[5] Journal für Fabrik, Manufaktur und Handlung. Zweyter Band. Januar bis Juni, Leipzig, Voss und Leo, 1792, VII. Anzeige neuer Handlungsartikel, S. 283, Vgl. LE GOULLON, François: Der elegante Theetisch oder die Kunst einen glänzenden Zirkel auf eine geschmackvolle und anständige Art ohne grossen Aufwand zu bewirthen, Weimar, Wilhelm Hoffmann, 1829, S. 15.

[6] BERTUCH, Friedrich Justin: Journal des Luxus und der Moden, Weimar, Julius 1793, S. 407. Vgl. LE GOULLON, François: Der elegante Theetisch oder die Kunst einen glänzenden Zirkel auf eine geschmackvolle und anständige Art ohne grossen Aufwand zu bewirthen, Weimar, Wilhelm Hoffmann, 1829, S. 16.

[7] LE GOULLON, François: Der elegante Theetisch oder die Kunst einen glänzenden Zirkel auf eine geschmackvolle und anständige Art ohne grossen Aufwand zu bewirthen, Weimar, Wilhelm Hoffmann, 1829, S. 14.

[8] Idem, S. 17.

[9] Ebd.

[10] Idem, S. 15.

[11] BERTUCH, Friedrich Justin: Journal des Luxus und der Moden, Weimar, Julius 1793, S. 407.

[12] LE GOULLON, François: Der elegante Theetisch oder die Kunst einen glänzenden Zirkel auf eine geschmackvolle und anständige Art ohne grossen Aufwand zu bewirthen, Weimar, Wilhelm Hoffmann, 1829, S. 14.

[13] Die Frage nach der «korrekten» Form von Teetassen bleibt bei der historischen Darstellung weiterhin ein Thema. Die konsultierte Sekundärliteratur liefert zur Beantwortung der Frage keine befriedigenden Antworten. In «Café, thé ou chocolat?» stehen verschiedene Tassenmodelle nebeneinander, ohne dass die Herausgeber sich der Mühe unterzogen hätten, deren Funktionalität auf den Grund zu gehen. Auch liefert Ennès in seiner Monographie «Histoire de la table» keinerlei Hinweise auf die Funktionalität der zeitlich koexistierenden Tassenformen. Régine de Plinval schafft mit ihrer Monographie ebenso wenig Klarheit bezüglich dieser Frage. Es scheint jedoch, dass sich eine gesellschaftlich akzeptierte Ausdifferenzierung der Funktionalität der verschiedenen Tassenformen erst im Laufe des ersten Drittels des 19. Jahrhunderts vollzieht. Davor scheint es – zumindest in Frankreich! – so, dass beide Tassenformen - die tasse litron als auch die Boltasse- sowohl für Kaffee als auch für Tee und Schokolade dienen konnten. Hierfür spricht einesteils die Tatsache, dass bei im Handel käuflichen Services des 18. und frühen 19. Jahrhunderts meistens eine Kaffee und eine Teekanne vorhanden ist, jedoch nur immer eine Tassenform. Andernteils zeigen französische Darstellungen des 18. und frühen 19. Jahrhunderts, dass sowohl Bol- wie auch Litrontassen sowohl für Kaffee als auch für Tee verwendet wurden. In jedem Fall jedoch finden sich bei Darstellungen von Teegeräten in der Malerei vorwiegend Boltassen.

[14] BERTUCH, Friedrich Justin : Journal des Luxus und der Moden, Weimar, August 1788, S. 336 – 340, Oktober 1788, S. 409 – 414.

[15] Diese Kulturkritik findet sich erneut in der Ausgabe vom Juli 1793: BERTUCH, Friedrich Justin: Journal des Luxus und der Moden, Weimar, Julius 1793, S. 407.

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