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  • AutorenbildJ.-G. Heurteloup

Zwei Fräcke aus dem Jahre 1790 – neue technische Erkenntnisse. Erster Teil

Aktualisiert: 22. Sept. 2019

Von Christian Tanner


Das journal de la mode et du gout des Herausgebers M Le Brun von 1790 enthält besonders schöne Modekupfer. Es sind aber nicht nur A. B. Duhamels Illustrationen, die dieses Zeitdokument einzigartig machen. Die dazu gehörigen Beschreibungen unterrichten den Leser nämlich darüber, dass wichtige modische Veränderungen, deren Ursprung man gemeinhin im Directoire sucht, bereits vor der terreur ihren Anfang nehmen. So erfährt man etwa, dass die Herren der jungen Generation ihr langes Haar im Nacken nur noch zu einem einfachen catogan zusammenbinden (die ein- und zweireihigen Lockenrollen entfallen), es nicht mehr pudern oder sogar schon kurz comme une tête antique[1] tragen. Ebenso spannend ist der Hinweis auf ein modisches Accessoire, das heute vielfach den Incroyables zugeschrieben wird, nämlich ein Stock in Form einer Herkuleskeule. Diese wird im journal de la mode et du gout bereits im Oktober 1790 als lächerlicher Ersatz für die davor modische und dezentere badine beschrieben[2].


Doch kommen wir von den Accessoires zum Anzug. Das Jahr 1790 wartet bei der Herren-bekleidung mit einer Vielfalt von Farb- und Materialkombinationen auf. Sie zeichnet sich durch folgende Merkmale aus:


Bei den Fräcken ändert sich im Vergleich zu den 1780ern Folgendes:


1. Als Material für die Fräcke dient – in Anlehnung an die englische Mode – Tuch aus casimir, und zwar auch im Sommer.[3]

2. Der Rücken ist extrem schmal geschnitten, bisweilen so schmal, dass sich die Knöpfe im Kreuz berühren, was Le Brun als sehr hässlich hervorhebt.[4]

3. Die Taille bleibt sehr tief, sie verläuft über dem Poansatz.

4. Die Ärmel sind – wie bei den Damenkleidern – sehr eng geschnitten (très-justes). Sie wirken wie aufgemalt.[5]

5. Die Kragen bestehen meist aus Fallkragen, die fünf Finger breit sind. Sie setzen sich in der Regel farblich vom Stoff des habits ab.[6]

6. Die Frackschösse reichen mindestens bis zu den Kniekehlen, höchstens aber bis zur Wadenmitte.

7. Die habits sind vorne sehr weit zurückgeschnitten. Sind sie ohne Revers gearbeitet, können sie über der Brust nur noch mit Mühe oder überhaupt nicht geschlossen werden.

8. Die habits weisen zunehmend Revers auf, die überkreuzt geschlossen werden.

9. Es gibt zwei Grundtypen von paremens (Ärmelaufschläge), und zwar die petits paremens fendus en dessous, et serrés par trois petits boutons oder die paremens à la Marinière.[7]


Bei der culotte kann man Folgendes beobachten:


1. Der Kniebund kann bis über den Wadenansatz hinaus reichen.

2. Der Kniebund wird neuerdings mit einem Band geschlossen.


Beim gilet zeigen sich folgende Elemente:

1. Es ist aus casimir, Baumwolle oder Seide.

2. Die Kanten werden oft mit Bändern jeglicher Farbe besetzt.[8]


Ein gilet aus der Sammlung des Metropolitan Museum of Art. Die Kanten des gilets sind mit einem Seidenband oder Seidenstreifen besetzt. Quelle: Metropolitan Museum of Art, Collection: https://www.metmuseum.org/art/collection/search/79243

Das geschenkte Genfer gilet, das Heurteloup als Schnittvorlage gedient hat.

Accessoires:

1. Der chapeau à l’Andromane wird zunehmend vom chapeau rond à haute forme verdrängt.

2. Schuhe kommen neu ohne Schnallen aus, sondern werden über dem Rist gebunden und sind mit einer rosette ausgestattet.[9]

3. Die Strümpfe sind weiss und die Keile sind bisweilen mit einer zum Anzug passenden Farbe bestickt.

4. Die Ärmelmanschetten reichen bis Mitte Handrücken und sind mit einem ourlet plat verarbeitet.

5. Die cravatte aus batiste ist möglichst voluminös-bauschig gebunden.

Dieses Jahr habe ich nach zwei Polonaisen, einer Piémontaise, einem caraco mit jupe, einem corset, einem fourreau und einer Haube auch noch etwas für mich selber nähen wollen.


Zum ersten Ensemble hat mich das Modekupfer aus dem 23.Cahier vom 5. Oktober 1790 inspiriert. Le Brun gibt dazu folgende Erklärung:


La coëffure des jeunes gens est devenue très-simple; il en est même plusieurs qui ont fait couper leurs cheveux en rond, et qui les portent sans poudre. Celui que nous représentons ici est coëffé d’un simple crépé, qui, des faces et du toupet, ne forment qu’une seule masse arrondie et tombant sur une espèce de catogan.

Au cou une ample cravatte de batiste avec un gros nœud très-bouffant.

Habit dont le fond est violet, croisé par des raies bleues et roses, boutons d’argent.

Gilet blanc de bazin ; petits boutons d’argent posés très-près l’un de l’autre.

Culotte de casimir écarlate ; nœud de ruban écarlate aux jarretières.

Bas de soie blancs, dont les coins sont brodés en écarlate. Boucles d’argent.

Canne à sabre, garnie en argent. Chapeau rond à haute forme.

Quelle: Rijksmuseum via Pinterest: https://in.pinterest.com/sacrooratore/

Die Frisur der jungen Burschen hat sich sehr vereinfacht. Einige haben sich sogar das Haar rund schneiden lassen und tragen es ungepudert. Derjenige, den wir hier abbilden, trägt sein Haar über dem Vorderkopf und dem Hinterkopf einfach toupiert, sodass es wie eine homogene Masse wirkt, die hinten im Nacken zu einem Zopf gebunden wird.

Um den Hals trägt er eine weite Krawatte aus Batist zu einem grossen, sehr bauschigen Knoten gebunden.

Der Farbgrund des habit ist violett, gekreuzt mit blauen und rosa Streifen, die Knöpfe sind aus Silber.

Das gilet ist aus weissem bazin und mit kleinen Silberknöpfen besetzt, die sehr eng aneinander gereiht sind.

Die culotte ist aus scharlachrotem casimir, dazu ein scharlachrotes Knieband.

Weisse Seidenstrümpfe, deren Keile scharlachrot bestickt sind. Silberschnallen.

Einen Spazierstock in Säbelform mit Silberbeschlägen. Ein runder Hut à haute forme.


Die Hauptschwierigkeit bei der Umsetzung des Kupfers bestand darin, einen Stoff für den Frack zu finden. Le Brun präzisiert nicht, dass es sich beim abgebildeten habit um Woll- oder Kaschmirtuch handelt. Da jedoch alle anderen von ihm beschriebenen Anzüge aus Tuch gearbeitet sind, ist davon auszugehen, dass es auch dieser sein muss. In Ermangelung eines farblich und motivisch passenden Wolltuchs habe ich ein Gemisch aus Wolle und Seide verwendet. Leider jedoch war die Stoffqualität für meinen habit viel zu fein und zu dünn, sodass ich den Stoff mit Leinen unterlegen musste. Dabei habe ich den Fehler gemacht, das Rückenteil zu steil im schrägen Fadenlauf zuzuschneiden, sodass sich im Rücken zunächst Wellen abzeichneten. Erst Sabine Schierhoffs (www.kleidungum1800.blogspot.com) Rat, den Oberstoff auf das Leinenfutter aufzupikieren und ein zusätzliches Seidenfutter darüber anzubringen, hat diesen Missstand merklich verbessert. Trotzdem war ich noch lange versucht, den fertigen Frack in seine Bestandteile zu zerlegen, um mit den Knöpfen und dem Kragen etwas Neues zu fertigen. Dank Elianes und Gabrielas dezidiertem Einschreiten unterblieb dieses Vorhaben jedoch. Die Qualität der Knopflöcher und der Materialien hatten in ihren Augen mehr Gewicht als die von mir verhassten Faltenwürfe.


Hier in der Arlesheimer Ermitage. Heurteloup trotz Modetrend immer noch etwas konservativ mit chapeau à l'Andromane und badine. Foto: Eliane Caramanna

Gegenüber dem Modekupfer habe ich mir folgende Freiheiten genommen:


1. Ich habe den Frack mit einer roten Seidenpaspel versehen. (Auf dem Modekupfer hat man auf den ersten Blick den Eindruck, die Kanten des habits seien gepaspelt. Ein zweiter Blick zeigt jedoch, dass dem nicht so ist.)

2. Ich habe mir erlaubt den Kragen aus einem alten Seidensamt zu fertigen, den mir die Basler Hutmacherin Theresa Stöcklin vor Aufgabe ihres Ateliers vererbt hat. Hierin folge ich zwar nicht dem Kupfer vom 5. Oktober, beachte jedoch den Modetrend, den Le Brun in seinem 9. Cahier beschreibt (siehe Fussnote 6).

3. Ich habe antike Perlmuttknöpfe statt der Silberknöpfe angebracht (Repliken von 15 Knöpfen aus Silber hätte ich mir nicht leisten wollen.)


Und manchmal erlaubt sich Jean-Gatien auch noch mehr Freiheiten bei der Umsetzung von Kollege Le Bruns Vorschlägen: Eine schwarze Taftculotte mit zu Knopflöchern und Paspel passenden Strümpfen. Pourquoy pas?

Der Schnitt des gilets ist eine Kopie eines Originals, das mir meine liebe Freundin Marina Harrington geschenkt hat. Im Gegensatz zum Original habe ich mich bei der Anzahl der Knopflöcher allerdings an das Pariser Modekupfer gehalten: Dieses zeigt achtzehn Knöpfe. Bei der Wahl der Knöpfe musste ich Kompromisse eingehen und habe mir 18 Stahlknöpfchen aus dem berühmten Knopfladen in der Berner Altstadt geleistet. Eigentlich zeigt das Modekupfer ein weisses Seidengilet. Ich hatte im Sommer auf dem marché Saint Pierre in Paris jedoch nur cremefarbene Seide gefunden.


Die achtzehn Knopflöcher, die bauschige cravatte, die rote Paspel und die Perlmuttknöpfe

Eigentlich habe ich eine Vorliebe für culottes à large pont. Das Kupfer vom 5. Oktober zeigt jedoch einen sich zum Hosenbund hin leicht schräg verjüngenden pont. Also habe ich meinen Grundschnitt entsprechend abgeändert, um mich ans Modekupfer zu halten.


Zur ceinture hin leicht schräg verlaufender pont, Kragen aus Seidensamt. Bei einer Tasse Kaffee lauscht Heurteloup dem Spiel der Mlle Mozartin.

Mühsam war das Färben des Kniebandes. Passende Farben findet man im Handel nicht, wenn man Seide will. Also musste ich in der Küche neben dem Topf mit kochendem Essigwasser stehen und warten, bis das Seidenband den richtigen Farbton angenommen hatte, um es in klarem Essigwasser auszuspülen. Den Kaschmir-Wollstoff habe ich ebenfalls in Paris erstanden.

Und hier das fast fertige Ensemble:


J.-G. Heurteuloup im Gespräch mit Mlle Mozartin

Fast? Ja, der runde Hut à haute forme fehlt nämlich immer noch.


[1] JMD, 27e cahier, 15 Novembre 1790, p. 1.

[2] JMD, 27e cahier, 15 Novembre 1790, p. 2: „Les jeunes gens ne portent plus ni canne, ni badine; seulement on en voit quelques-uns avec de gros bâtons noirs et noueux qui renferment une lame d’épée ou de sabre.“

[3] JMD, 13e cahier, 25 Juin 1790, p. 3: „Il est à remarquer que cet été les jeunes gens portent peu d’habits de soie; les draps fins et légers, quelques fois le casimir l’ont remplacé“.

[4] JMD, 12e cahier, 15 Juin 1790, p. 1: „Une mode assez ridicule vient de s’introduire [...]. Cette mode consiste à retrécir tellement la taille des habits, que les deux boutons qui la terminent se touchent. Il en résulte que, lorsque l’on marche, ces deux boutons se croisent, et que les basques et les poches de l’habit ne forment plus qu’un paquet de drap chiffonné, balottant sur le derrière, et laissant, d’une manière indécente, une partie des fesses découverte jusques à la ceinture.“

[5] JMD, 23e cahier, 5 Octobre 1790, p. 2.

[6] JMD, 9e cahier, 15 Mai 1790, p.1: „Tous les habits des jeunes gens ont aujourd’hui des collets d’une couleur différente; c’est-à-dire, que l’on porte, à volonté, un collet rouge, blanc, bleu de ciel, lilas, violet, &c. sur un habit bleu de roi, gris, paille, brun, violet, écarlate &c. &c.“

[7] JMG, 16e cahier, 25 Juillet 1790, pp. 1 – 2.

[8] JMG, 9e cahier, 15 Mai 1790, p. 1: „Les gilets se bordent aussi avec des rubans de toutes couleurs. Le casimir et les étoffes de coton rayées sont encore ce qu’il y a de plus à la mode.“

[9] JMD, 9e cahier, 15 Mai 1790, p. 2: „Souliers attachés avec des rubans noirs formant la rosette.“

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