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AutorenbildJ.-G. Heurteloup

Eine Française retroussée dans les poches

Aktualisiert: 3. Okt. 2021

Von Christian Robardey-Tanner

Gegen Jahresende zieht der Schneider Bilanz über sein Jahreswerk. Etwas erstaunt stelle ich fest, wie wenig Kleider ich 2019 genäht habe: über Neujahr 2018-2019 entstand das Trauerkleid zum Gedenken an Marie-Antoinette inklusive Fortune (zu sehen im folgenden Kurzfilm https://www.youtube.com/watch?v=JNhfDKZVNq8&t=20s), dann eine Anglaise samt dekoriertem Seidenrock und Haube für unsere Tänzerin Marina, damit sie im Haus zum Kirschgarten mit Les Soirées Amusantes im Mai mittanzen konnte. Dann folgte ein Schnitt für Elianes Caraco, ein pet-en-l’air für Mutter Heurteloup inklusive Chintzrock und dann eine Française, bevor ich endlich die Nannerl-Polonaise und einen 1790-er Frack fertigte. Dazwischen reichte die Zeit bloss für Madame Dupans Riesenhaube, welche Gabriela im Video «Über den modernen Luxus des Theetrinkens» so gut zu Gesichte steht (https://www.youtube.com/watch?v=84tdOpCN_ks&t=87s) . Wie erklärt sich diese vergleichsweise magere Schaffensausbeute?


Madame Deuxchamps beim Dominospiel. Foto: Fabrice Robardey

Schuld daran ist die Française. Denn, spricht man von diesem Kleid, so spricht man nicht bloss von dem, was der Betrachter als oberste Schicht sieht, sondern von dem, was sich darunter verbirgt, und das wären im Ganzen:


1. Eine Schnürbrust

2. Paniers mit Böden

3. zwei mit agrémens versehene Unterröcke, einer aus Baumwolle, einer aus Seidentaft

4. ein manteau de robe

5. ein dazu passender Rock

6. ein Stecker, bzw. eine échelle de rubans


Da ich nach der Alessandra Reeves All-has-to-be-entirely-handsewn-Charte alle Komponenten ganz von Hand erarbeitete, verbrachte ich mehrere Wochen, ja gar Monate damit, da ich die Arbeit immer wieder zugunsten meines eigentlichen Broterwerbs oder für andere Kleider unterbrechen musste.


Zuerst fertigte ich die Paniers. Eine nützliche Handreichung lieferten mir die Instruktionen auf www.marquise.de. Die Schmalspurvariante ohne Boden, wie sie etwa im Amercian Duchess Guide to 18th century Dressmaking propagiert wird[1], passte mir nicht, weil die Damen im Gegensatz zu den Herren so wie so zu wenig Stauraum während ihrer Spaziergänge haben, wenn sie über keine Poschen verfügen, und da mir Alessandra angab, in Paniers hätten ganze Weinflaschen Platz, wollte ich diese Legende verifizieren. Das Fertigen von Paniers ist schnitttechnisch zwar einfach. Allerdings stellte sich mir die Frage nach der Verarbeitung. Da sich hierüber die Autorin von www.marquise.de ausschweigt und die American Duchess Variante so wie so ohne Panierboden auskommt, entschied ich mich dazu, Panieraussenseite und Panierboden/ Innenwand als zwei einzelne Schnittteile zuerst mit Säumen zu versäubern und dann den Boden/ Innenwand mit überwindlichen Stichen an die Kanten der Panieraussenwand zu nähen. Nach dem Nähprozess brauchte ich bloss das Panier zu wenden, um ein sauberes Resultat in Händen zu halten. Leider verfügte ich zum Zeitpunkt dieser Arbeit noch nicht über die neueste Dokumentation von Patterns of Fashion 5. Darin konnte ich post opere erfahren, dass die Überwindlichtechnik zwar historisch korrekt ist, die Stiche aber offenbar von der Panieraussenseite ausgeführt wurden, was dem Näher das Umstülpen der Teile nach dem Nähen erspart[2]. Ferner zeigte mir die Lektüre der Dokumentation, dass die Stäbe der Paniers nicht etwa einzeln mittels Bänder an die Panierwand genäht werden, sondern als Stabpaar in Stoffstreifen gewickelt werden, die dann mit Rückstichen zwischen die Stabppaare durch den Stoff der Panieraussenwand (!) aufgenäht werden[3]. Falls ich wieder auf die Idee kommen sollte, ein zweites Paar Paniers zu nähen, werde ich mich an diese Dokumentation halten.


Die Paniers aus altem belgischen Leinen. Foto: Fabrice Robardey

Als zweiter Schritt folgte das Fertigen der zwei Unterröcke. Da ich sowohl Paniers als auch Unterröcke für unterschiedliche Figuren verwenden können möchte, entschied ich mich zu einfach verstellbaren Modellen mit Seitencoulissen, die sich je nach Taillenumfang um den Taillenbund etwas mehr oder weniger regulieren lassen. Die meterlangen Rollsäume der Rocksaumvolants und das Anbringen der Seidenblende fand ich besonders zeitaufwändig und öde. Doch nahm ich mir Alessandras Rat zu Herzen: Damit sich die Paniers unter keinen Umständen unter dem Rock des Manteaus abzeichnen und ein schönes Rockvolumen entsteht, braucht es zwei Unterröcke.


Der untere Jupon aus Baumwolle mit handroulierten Falbalas und Coulisse. Die Paniers zeichnen sich noch durch den Stoff ab. Foto: Fabrice Robardey

Da mir Jean-Nicolas de Feule vor langem einen braunen Seidentaft hinterlassen hatte, dessen Farbe mir nicht recht gefallen wollte, fand ich ihn als Stoff für Unterwäsche ganz passabel.


Der obere Jupon aus Seidentaft mit ausgezäckten Falbalas. Bereits jetzt zeichnen sich keine Paniers mehr unter dem Rock ab. Foto: Fabrice Robardey

Die Coulisse erlaubt einen einfachen Zugriff auf die Poschen. Foto: Fabrice Robardey

Ein paar Wochen verstaubten Paniers und Unterröcke auf den Stuhllehnen meines Gästezimmers, bis ich mich im Juni daran machte, eine Schnürbrust für die Française zu machen. Schon seit langem wollte ich die Bernhardtsche Schnürbrust von Hand nähen, für welche mir Sabine Schierhoff in Weimar 2016 einst den Schnitt übergab. Meine Interpretation sollte vollversteift und mit Wolle bezogen sein, denn, wie ich dachte, brauchte es eine solche, wenn verhindert werden sollte, dass beim Anheften des Steckers die Stecknadeln durch die Stofflagen dringen.


Da mein Modell Madame Deuxchamps als auch unsere Tänzerin Darina nahezu die gleiche Figur haben und den beiden zudem einer meiner Bernhardtschen Schnürleiber, dessen Schnitt ich einst für eine Musikerin verlängert hatte, passte, musste dasselbe Verlängerungsverfahren zwangsläufig zu einer ihnen passenden Schnürbrust führen. Also habe ich zuerst nach Sabine Schierhoffs Rat den Bernhardtschen Schnürbrustschnitt gestreckt. (Für weitere Informationen zum Umgang mit Bernhardts Schnürleibschnitten verweise ich auf Sabine Schierhoffs Anleitungen: http://kleidungum1800.blogspot.com/2013/05/short-stays-studies-schnurleib-studien.html)


Sabine Schierhoffs Lektion an Heurteloup: Wenn man Bernhardts Schnitte strecken will, so von einer geschwungenen Linie aus. Ich habe die Schnittteile ausgeschnitten und dann in der eingezeichneten Linie geteilt, um die notwendigen 3 cm zuzugeben und danach die Schnittteile wieder zu begradigen. Foto: Christian Tanner

Die Schwierigkeit bei der Ausführung der Schnürbrust lag darin, dass Bernhardt den Verlauf der Fischbeinstäbe nicht auf seinem Schnitt einzeichnete. Da ich aber schon eine Variante mit der Maschine für unsere Musikerin Natalie genäht hatte, hielt ich mich beim Verlauf der Ratanstäbe an dieses Modell. Diese Ausrichtung wiederum stützte ich auf die in 18th Century close up dokumentierte Schnürbrust, bei welcher die Stäbe im Schnittteil a parallel zur VM verlaufen[4]. Das Einnähen der schmalen Ratanstäbe erfolgte bei schlimmster Sommerbruthitze in der Küche und nahm etwa zwei Wochen in Anspruch – unterbrochen durch die Maturprüfungen und deren Vorbereitungen. Zum Glück gibt es Hörbücher.


Ein paar zum Zusammennähen fertige und unfertige Schnittteile der Schnürbrust. Der Oberstoff besteht aus Resten meines 1790er Fracks. Die Nähte aus altem französischen Leinenfaden. Foto: Christian Tanner

Bei der Anprobe stellte sich jedoch heraus, dass im Gegensatz zum Schnürleib, die Schnürbrust Darina zu weit war. Das Schnittteil b musste also im Umfang gekürzt werden, wozu ein Auftrennen der Schnitteile a, b und c nötig war. Die Schnitteile b musste ich hierzu natürlich neu zuschneiden und neu versteifen. Als bequem erachten die fertige Schnürbrust aber weder Darina noch Madame Deuxchamps. Beide finden, sie drücke zu stark auf die Rippen. Ich frage mich, ob das am Verlauf der Stäbe liegt. Denn, wie, wieder post opere, die Lektüre von Patterns of Fashion 5 gezeigt hat, verlaufen alle Fischbeinstäbe bei den dokumentierten Schnürbrüsten bei Schnittteil a, b und c in einem Winkel von ca. 60 – 80 Grad. Bei keiner einzigen verlaufen die Fischbeinstäbe parallel zur VM. Auch zeigen die dokumentierten Schnürbrüste, dass die Geren nicht zwischen Oberstoff und Futter der Schnürbrust eingenäht werden, sondern umgekehrt: Der Oberstoff der Gere wird mit Rückstichen durch den Oberstoff der Schnürbrust aufgenäht und das Gerenfutter wird danach auf die unterste Leinenlage der Schnürbrust fixiert[5].


Die fertige Schnürbrust, eingefasst mit einem Baumwollband. Das französische Fichu aus dem 19. Jahrhundert ist ein Geschenk von Claude-Nicolas de Feule. Foto: Fabrice Robardey

Unten etwas zu wenig eng und zu eng über den Rippen. So beschreibt Madame Deuxchamps den Tragekomfort dieser zweiten Schnürbrustvariante. Für Heurteloup immer noch ein gewisses Rätsel. Denn die erste maschinengenähte Variante (ebenfalls mit Ratan vollversteift) findet die Trägerin Natalie ganz bequem.

Erst nachdem die Schnürbrust fertiggestellt war, konnte ich mit der Erarbeitung des Françaisenschnitts beginnen.


Zuerst ein Geständnis: Ich liebe Anglaisen und mag Polonaisen. Aber gegenüber Françaisen empfinde ich meistens eine gewisse Abneigung: Die meisten Modelle sind für mich, was die Dekoration anbelangt, zu viel des Guten. Zudem mag ich es nicht, wenn die Damen meinen, sie müssten in diesem Kleid in ostentativer Hoffärtigkeit Parkalleen und das Tanzparkett fegen. Doch was wohl eher ein Tick von heutigen Trägerinnen zu sein scheint, lässt sich auf zeitgenössischen Abbildungen nicht immer so beobachten. Es scheint, dass zumindest beim Tanzen die Französinnen des 18. Jahrhunderts mit ihrem bon sens ihre Kleider retroussées dans les poches getragen haben[6]. Bei dieser Art, eine Française zu schürzen, ergibt sich eine polonaisenverwandte Silhouette. Genau eine solche findet sich in der Sammlung des LACMA wieder. Was mir an diesem Original jedoch besonders gefällt, ist, dass dieses Modell ein sog. Robing über den Ärmeln aufweist. Und dieses ist nicht etwa angesetzt, sondern verläuft in einem Stück mit dem bas de manteau. Ausserdem zeichnet sich die LACMA Française dadurch aus, dass sie ohne Taillennaht auskommt.


Quelle: https://collections.lacma.org/node/214438

Quelle: https://collections.lacma.org/node/214438

Da ich im September 2018 auf Schloss Prangins ein taillennahtloses Schweizer Original gesehen hatte, das aus einem Indiennes-Stoff gearbeitet war, und der Shop von Colonial Williamsburg einen preiswerten Reprint anbot, entschied ich mich dazu, ein Françaisenmodell zu realisieren, das auf diesen beiden Vorlagen beruht.


Ein Original aus der Ausstellung "Indiennes" auf Château de Prangins, 2018. Foto: Christian Tanner. Das Modell zeigt einen gut sichtbaren Poscheneingriff, eine sehr schmale Watteaufalte und Seitennähte, die wohl mit beidseitigem Saumstich verarbeitet wurden.

Dafür wälzte ich mich zuerst einmal durch alle mir bekannten Schnittbücher. Die meisten Françaisenfutter


- verfügen über eine Rückenschnürung

- bestehen aus zwei Schnittteilen, die im GERADEN oder nahezu geraden Fadenlauf zugeschnitten werden.


Ob das Rückenfutter der LACMA Française eine Rückenschnürung aufweist und ob die Front im geraden Fadenlauf zugeschnitten ist, kann ich über die Fotodokumentation nicht ermitteln. Für mich stand aber fest, dass ich ein Modell ohne Rückenschnürung nähen wollte[7]. Allerdings erlaubte ich mir dabei eine technische Freiheit, die vielleicht nicht historisch verbrieft ist: So habe ich bei der HM Oberstoff und Futterstoff mit dem beidseitigen Saumstich vernäht. Dank dieser Verarbeitung liegt der Oberstoff im Rücken satter an. Dass hingegen der Oberstoff beim LACMA Original mit Punkt- oder Vorstichen auf Taillenhöhe auf den Futterstoff fixiert wurde, um eine faltenfreie eng anliegende Silhouette zu erzielen, ist auf den Fotografien ersichtlich, wenn man darauf zoomt.


Probleme bereitete mir das Futter der Front. Zuerst schnitt ich es gemäss der Schnittzeichnungen von Waugh[8] im geraden Fadenlauf zu, obschon mich meine Erfahrung lehrte, dass sich dabei auf Taillenhöhe unschöne Falten bilden können. In der Tat zeigte die erste Anprobe, dass diese Variante zu keinem befriedigenden Erlebnis führte: Es bildeten sich Falten. Also schnitt ich ein neues Futter im schrägen Fadenlauf zu, wie dies der American Duchess Guide to 18th Century Dressmaking empfiehlt[9] und was ich bei genauerem Hinsehen auch bei Janet Arnold hätte beobachten können[10]. Allerdings wollte ich zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen und den Schulterriemen gleich mit anschneiden, was bei Anglaisen erfahrungsgemäss gut funktioniert. Doch auch diese zweite Variante ergab nicht das erwünschte Resultat. Zwar lag der Stoff nun um die Taille schön glatt, allerdings wabbelte der Schulterriemen. Erst jetzt wurde mir klar, warum im American Duchess Guide der Schulterriemen aus einem angestückelten Stück im geraden Fadenlauf besteht[11]. Also befolgte ich diesen technischen Kniff und war mit dem Endresultat zufrieden. Ich erlaubte mir allerdings ein technisches Detail, das sich in keinem meiner Schnittbücher befindet: Die Kanten der vorderen Seitennähte des manteaus habe ich mit Stäben versteift. So lässt sich der manteau beim Anziehen leichter fassen und durch das Anbringen von Stecknadeln an der Stabkante durch die Schnürbrust straff ziehen. Zudem verstärkte ich auch die Nähte der Seitennähte beidseitig mit Stäben und vernähte sie mit dem beidseitigen Saumstich. Dies führt zu besonders glatten, sauberen Nähten.


Die zweite Frontfuttervariante stellte sich als befriedigend heraus: Falten zeichneten sich keine ab. Der Schulterriemen jedoch sass zu locker über der Schulter und war als Grundlage für ein Robing nicht geeignet. Foto: Christian Tanner


Was den Schnitt anbelangt, so hielt ich mich ans Original selber. Ich wollte auf jeden Fall eine Française mit einem Robing über den Ärmeln, und zwar ohne Ansetzen. Auch wollte ich ganz dem Original gemäss eine Française ohne Taillennähte. Ein solches Modell entspricht ungefähr dem Diagram XV im Waughs Schnittbuch.[12] Dieser Schnitt wiederum entspricht jenem aus L’Art de la Couturière von Garsault.[13]


Zwei Bahnen à 120 cm verbrauchte ich für die Watteaufalte im Rücken. Zwei Bahnen von gleicher Breite verwendete ich für die Front. Dem Schnitt aus L’art de la couturière folgend, entschied ich mich dazu, zwischen den seitlichen Rocksäumen des manteaus von der Posche her je einen Keil einzusetzen, den ich aus der oberen Hälfte des Panels herausgeschnitten hatte. Schliesslich blieb mir von den 11 yards nur noch so viel Stoff übrig, dass, wenn ich ihn quer legte, sich zwei Panele von einem Rockumfang von 280 cm ergaben. Knapp genug, um daraus den Rock für die Française zu machen.


Mühsam war für einmal das Drapieren des Rockes um das Taillenband, da dies über die Paniers erfolgen musste. Ich war dazu genötigt, jeweils nur die eine Hälfte einer Seitendrapierung am Modell Madame Deuxchamps selbst vorzunehmen. In einer stillen Stunde übte ich mich mit dem Massband und dem Auge dann darin, diese Drapierung möglichst symmetrisch auf der Gegenseite hinzubekommen: Manchmal wünsche ich mir für solche Arbeiten tatsächlich eine moderne Schneiderpuppe!!


Die Jupe mit der gegen das Licht gut sichtbaren breiten Blende. Diese wurde aus altem Leinen gestückelt. Foto: Fabrice Robardey

Der langweilige Part bestand darin, am Saum des Rocks und Manteaus Blenden anzubringen. Schaut man sich aber das Endergebnis an, kommt man zum Schluss: Egal, wie viele Stunden man für diese Arbeit aufwendet, sie lohnt sich immer. Ohne Blenden hätte der Baumwollstoff nicht genug Stand.


Das Robing über die Schulter ging intuitiv vonstatten: Bei einer Anprobe steckte ich die Kante der Stoffbahn ans bereits versteifte vordere Futterschnittteil, dann habe ich die Doppelfalte am Modell Madame Deuxchamps ausprobiert. Das Ergebnis habe ich dann mit Stecknadeln aufs Futter fixiert. Danach musste ich die provisorisch genähten Seitennähte auftrennen, um das Frontfutter als Schnittmuster für das Frontpanel verwenden zu können und um dieses zuzuschneiden. Danach habe ich die Seitennähte mit dem beidseitigem Saumstich verarbeitet und das Robing provisorisch geheftet. Das Zwischenresultat habe ich dann Madame Deuxchamps nochmals anprobiert. Danach habe ich die innere Robingfalte nach der VM hin mit dem point à rabattre an die VM des Futters angenäht, bevor ich sie mit Vorstichen an die gestäbelte Futterkante fixieren konnte, nach der Flanke hin, blieb die Falte gemäss dem LACMA Original offen. Schliesslich verbergen sich darunter die Stecknadeln, mithilfe derer die Manteaukorsage an die pièce d'estomac geheftet wird. Die äussere Robingfalte habe ich mit Vorstichen durchs Futter fixiert. Über der Schulter blieb das Robing zunächst unvollendet, weil zuerst die Ärmel eingesetzt werden mussten.


Szene einer Anprobe: Der Stecker im Rohzustand, das Robing noch nicht definitiv auf das Futter fixiert. Foto: Christian Tanner

Das Ärmelfutter, das als Schnittmuster für den Ärmel diente. Foto: Christian Tanner

Mittlerweile schneide ich ein Leinenfutter zu, das ich, wenn es passt, als Schnittmuster für den Oberstoff verwende. Die Nähte des Sabots stecke ich dann am Modell selber ab, wenn ich die Ärmelfalten über der Schulter drapiere.


Den Stecker habe ich aus einem alten Rest Satin Duchesse gemacht. Entgegen der dokumentierten Machart – nochmals eine meiner anachronistischen Freiheiten – habe ich den Stecker in zwei Teilen zugeschnitten[14], und dabei die Naht der VM mit zwei Stäben versteift. Den eingeschlagenen Oberstoff habe ich dann mit dem point à rabattre sous la main auf den dagegen eingeschlagenen Futterstoff genäht und die so fertigen zwei Schnitteile mit dem beidseitigen Saumstich zusammengefügt. Ein sechs Meter langes Seidentaftband aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts gab gerade genug her, um davon eine anständig bestückte échelle de rubans zu liefern. Damit die Naht der VM nicht sichtbar blieb, habe ich vor dem Aufnähen der rubans ein gerafftes grünes Seidenband über der Naht angebracht. Damit der Stecker auf die Schnürbrust fixiert werden kann, habe ich zwischen Futter und Oberstoff aus einem Leinenband Laschen eingenäht. Durch diese lässt sich die échelle de rubans leichter mit Stecknadeln fixieren, ohne dabei Schaden zu nehmen.


Die noch unvollständige échelle de rubans. Die leicht stockfleckigen Schlaufen. Im Atelier Heurteloup kommen oft antike Materialien zum Einsatz. Foto: Christian Tanner

Von über 6 m Seidentaftband blieb nur noch dieses mickrige Reststück übrig. Foto: Christian Tanner

Die pièce d'estomac nun da, wo sie hin gehört! Foto: Fabrice Robardey

Als das Kleid fertig war, kam Claude-Nicolas de Feule aus Paris zurück und brachte mir ganze Metragen von crèmefarbigen alten Spitzen. Einmal gebleicht passten sie sehr nett als agrémens für Ärmel und Dekolleté.


Das Mitbringsel aus Paris: Spitzen aus dem 19. Jahrhundert von Heurteloup gebleicht und gebügelt. Foto: Fabrice Robardey

Keine engageantes, sondern manches sabot wie bei den beiden Originalen, von denen sich Heurteloup für seine erste Française hat inspirieren lassen. Foto: Fabrice Robardey


Die hoffärtige Trageversion. Gut sichtbar: der Poscheneingriff wie beim Original von Prangins. Foto: Fabrice Robardey

Et voilà: Die Poschen im Einsatz: Une française retroussée dans les poches! Schaut man sich die Darstellungen von Saint-Aubain an, so dürfte die Jupe sogar noch etwas kürzer sein. Foto: Fabrice Robardey

Bibliographie:


ARNOLD, Janet, Patterns of Fashion 1. Englishwomen’s dresses and their construction c. 1660 – 1860, Macmillan, London, 1984. Sigel POF1


BAUMGARTEN, Linda, WATSON, John, Costume Close-up. Clothing Construction and Pattern 1750 – 1790, Colonial Williamsburg Foundation, Williamsburg, 1999. Sigel CCU


STOWELL, Lauren, COX, Abby, The American Duchess Guide to 18th Century Dressmaking, Page Street Publishing Co., Salem, 2017. Sigel AD


TIRAMANI, Jenny, COSTIGLIOLO, Luca, Patterns of Fashion 5. The content, cut, construction and context of bodies, stays, hoops and rumps c. 1595 – 1795, The School of Historical Dress, London, 2018. Sigel POF5


WAUGH, Norah, The Cut of Women’s Clothes 1600 – 1930, Faber and Faber, London, 1968. Sigel TCOWC

[1] AD, pp. 75 – 79.

[2] POF5, pp. 144 – 145.

[3] Ibid.

[4] CCU, pp. 61 – 62.

[5] POF5, p. 105, p. 107.

[6] Dies bezeugen alle mir bekannten zeitgenössischen Darstellungen, die Contredanses zeigen: Le Bal paré von Augustin de Saint-Aubin (1773), Le bal d’Auteuil von Augustin de Saint-Aubin: https://gallica.bnf.fr/ark:/12148/btv1b8430826w.item.

[7] Sieh das dokumentierte Modell in CCU, p. 17 – 18.

[8] TCOWC, Diagram XV, p. 86, Diagram XVIII, 89, Diagram XIX, p. 90.

[9] AD, p. 94.

[10] POF1, p. 35.

[11] AD, p. 94.

[12] TCOWC, p. 86.

[13] TCOWC, p. 108.

[14] Dazu sah ich mich deshalb genötigt, weil gar nicht genug Stoff vorhanden war, um eine pièce d’estomac aus einem Stück zu fertigen.

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2 Comments


J.-G. Heurteloup
J.-G. Heurteloup
Dec 13, 2019

Werther Brissotin!

Leider liegen meine frühesten Fräcke ein paar Jahre zurück, sodass sich die Dokumentation schwierig gestaltet. Ich könnte höchstens über den letzten vom November 1790 berichten.

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brissotin
brissotin
Dec 10, 2019

Sehr schön anschaulich beschrieben. Es ist interessant wie Du Deine eigenen ästhetischen Vorlieben eingearbeitet hast. Besonders großartig wirken mehrere Francaisen von hinten. Ich bin ja seit jeher ein großer Verehrer dieses Kleidtyps gewesen. Wirst Du dann auch etwas zeitlich dazu passendes für den Herrn hier vorstellen?

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